11. Mai 2023
Während die Preiskrise Millionen Europäer vor Existenzängste stellt, verprasst der Präsident des EU-Rats Charles Michel massenweise Steuergelder für verschwenderische Privatjet-Flüge. Für das kommende Jahr steht ihm ein exzessives Budget von 2,6 Millionen Euro zur Verfügung.
EU-Ratspräsident Charles Michel ist wegen seiner Privatjet-Flüge bereits in die Kritik geraten. Für das kommende Jahr wird sein Reisebudget noch weiter aufgestockt.
IMAGO / TTSeitdem die Energiepreise explodiert sind, waren die obersten Vertreterinnen und Vertreter der Bundesregierung und der EU nicht darum verlegen, den Menschen zweifelhafte Tipps zum Energiesparen zu geben. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck berichtete stolz, er habe seine Duschzeiten verkürzt, während sein Parteifreund Winfried Kretschmann den Menschen dazu riet, doch einfach einen Waschlappen zu benutzen. Hoch im Kurs standen außerdem Sparduschköpfe, geschlossene Fenster, Wäsche waschen bei 30 Grad oder der Verzicht auf das Bügeleisen. So manch einer fühlte sich an Thilo Sarrazin erinnert, der Hartz-IV-Empfängern einst vorschlug, sie sollten sich im Winter einfach einen dicken Pullover anziehen, anstatt zu heizen.
»Ein Abendessen in Brüssel kostete den Ratspräsidenten schlappe 35.000 Euro, 64 Prozent seiner Reisen absolviert er im Privatjet.«
Dass die Ratschläge der zynischen Sprücheklopfer für die Katz sind, weiß jeder, der am Ende des Monats keine Unmengen an Geld übrig hat. Gerade Menschen mit niedrigen Einkommen waren schon vor der Inflation dazu gezwungen, möglichst viel Energie zu sparen. 54 Millionen Menschen in der EU wissen nicht, wie sie am Ende des Monats ihre Energierechnungen noch bezahlen sollen, jedes vierte Kind wächst in Armut auf. Vom klimaschädlichen Luxus der Reichen – hochmotorisierte Prunk-SUVs, Privatjets und Villen mit beheizten Swimmingpools – ist die arbeitende Klasse Lichtjahre entfernt.
Wie scheinheilig die Debatten um Nachhaltigkeit im Alltag wirklich sind, hat sich erst in den letzten Wochen und Monaten wieder gezeigt: Das Budget von Ratspräsident Charles Michel sprengt langsam alle Dimensionen. Für 2024 wird es wohl ganze 2,6 Millionen Euro betragen. Das ist ein Anstieg von satten 27,5 Prozent. Und wofür werden diese Steuergelder aufgewendet? Ein Abendessen in Brüssel kostete den Ratspräsidenten schlappe 35.000 Euro, zusätzlich werden Strecken von Brüssel nach Paris oder Straßburg nach Brüssel standesgemäß im Privatjet zurückgelegt.
Wenn der europäische Ratspräsident 64 Prozent seiner Reisen im Privatjet absolviert, statt mit dem Zug zu fahren oder bei längeren Reisen Linienflüge zu benutzen, dann geht dieser verschwenderische Luxus nicht nur auf Kosten der Umwelt, sondern auch der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, die ihm diesen opulenten Lebensstil finanzieren müssen. Dank der Konservativen und Liberalen muss sich Charles Michel vor dem Parlament nicht einmal für seine teuren Reise- und Speisegewohnheiten verantworten.
»Denjenigen, denen die Lebenskostenkrise buchstäblich den letzten Cent aus der Tasche zieht, hat die Kommission derweil wenig anzubieten.«
Bei alledem geht es allerdings nicht nur um Charles Michel. Die gesamte Riege der europäischen Spitzenpolitikerinnen und Spitzenpolitiker hat zu den alltäglichen Problemen und Kämpfen normaler Menschen mittlerweile jeglichen Bezug verloren. Exzessiver Wohlstand schafft auch unter Politikerinnen und Politikern Parallelgesellschaften, die gegenüber den Menschen, die sie gewählt haben, keinerlei Verantwortung mehr empfinden, dafür aber umso intensiver mit den Lobbyistinnen der großen Konzerne auf Tuchfühlung gehen. Ursula von der Leyens neues Munitionsgesetz wird Abermillionen Euro an öffentlichen Geldern im Rachen der Rüstungsindustrie versenken, während die jüngsten Vorschläge zur Reform der europäischen Steuerpolitik am Leitschema der Austerität festhalten, für die in Deutschland vor allem Christian Lindner die Trommel rührt. Wer sich die neuen Klimaschutzverordnungen nicht leisten kann, bleibt eben auf der Strecke. Denjenigen, denen die Lebenskostenkrise buchstäblich den letzten Cent aus der Tasche zieht, hat die Kommission derweil genauso wenig anzubieten, wie die deutsche Ampelregierung.
Angesichts der sozialen Krisen, und der tiefen Umbrüche vor denen die europäischen Gesellschaften stehen, können wir uns dieses »Weiter so« einfach nicht mehr leisten. Wenn wir als Linke ein solidarisches Europa wollen, das mehr ist als eine schöne Floskel in den Festtagsreden politischer Spitzenfunktionärinnen und Spitzenfunktionären, dann müssen wir es den Konzernen und den Superreichen entreißen. Wir müssen die Übergewinne der Konzerne und extremen Reichtum besteuern, um Zukunftsinvestitionen in den Sozialstaat, das Klima und die industrielle Wende zu finanzieren. Wir müssen Privatjets und den obszönen Luxus der Reichsten verbieten, die gerade einen Freibrief nach dem anderen zur Verpestung des Klimas ausgestellt bekommen. Wir müssen Gewerkschaften im Kampf um gute Löhne und Arbeitsbedingungen stärken, Mieterinitiativen bei den Auseinandersetzungen um bezahlbaren Wohnraum unterstützen und die Preise deckeln. Kurzum: Wir brauchen eine sozialistische Alternative zum neoliberalen Kapitalismus in Europa.
Martin Schirdewan ist Ko-Vorsitzender der Fraktion THE LEFT im Europäischen Parlament und Ko-Vorsitzender der Partei DIE LINKE.